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Schwer, sich das vorzustellen

Und damit – erst einmal – nicht denkbar. Karl Brandt war der Mediziner, mit dem das Euthanasieprogramm im Nationalsozialismus wohl nicht in diesem Umfang und mit dieser Konsequenz stattgefunden hätte.

Brandt war von vielen geschätzt, privat und auch beruflich. Er war hochgewachsen, elegant, kultiviert, jemand, den viele gerne in ihrer Nähe sahen. Er hatte schon in jungen Jahren den Ruf eines exzellenten Arztes.

Wenn ich den Bericht des Vaters des Kindes lese, mit dem die Idee der Euthanasie konkrete Formen annahm, den Brandt besuchte, um sich im Auftrag Hitlers ein Bild von dem Kind zu machen, ob dessen Leben lebenswert sei oder nicht, dann lese ich einen Bericht, in dem Respekt und Dankbarkeit Brandt gegenüber mehr als deutlich  wird.

Brandt wurde als „außerordentlich moralischer Mensch“ geschildert, der „sehr gewissenhaft in dem war, was er tat“. Robert Jay Lifton schreibt in seinem Buch „Ärzte im Dritten Reich“ von seiner „nahezu mystischen Aura der Eleganz und Reinheit“, die ihn zum perfekten Advokaten der Euthanasie und zum idealen Repräsentanten des Führers gemacht habe.

Er geht davon aus, dass Brandt es auch ehrlich gemeint habe, als er 1948 sagte, bevor das Todesurteil gegen ihn vollstreckt wurde: „Ich habe immer mit gutem Gewissen für meine persönlichen Überzeugungen gekämpft und habe dies aufrecht, aufrichtig und offen getan.

Dieser „anständige Nazi“, so Lifton, erledigte einen großen Teil des Regimes und war für den Nazi-Massenmord unentbehrlich.

Damit komme ich zum Eigentlichen. Der Typ Mensch, der hier beschrieben wird, ähnelt auf frappierende Weise meinem Vater: Elegant, kultiviert, gebildet, erfolgreich und überzeugt von dem, was er tat – was man auf diesen Fotos erahnen kann, wie ich finde:

Das erklärt wahrscheinlich, warum mein Vater, trotz seines jungen Alters, 1910 geboren, von Karl Brandt und Paul Rostock als „geeignet“ für die Organisation von Brandt angesehen wurde, dem „Amt für medizinische Wissenschaft und Forschung“, unter anderem als Vertreter des Leiters, Paul Rostock, der sehr eng mit Brandt zusammen arbeitete. Was Brandt plante, führten Rostock, mein Vater und acht andere Mediziner aus. Mehr waren es nicht, jedenfalls nicht im engeren „medizinischen“ Führungskreis des Amtes.

Ja, das war mein Vater, so kenne ich ihn: Von seinen Assistenten und Kollegen geschätzt, von seinen Patienten mehr als nur respektiert. Wenn ich als Kind im Krankenhaus war, zu Besuch oder als Patient, bekam ich immer eine absolute Vorzugsbehandlung, aber nicht, weil Ärzte oder Schwestern das pflichtschuldigst taten, sondern weil sie das von sich aus wollten.

Ich bekam sozusagen etwas von dem ab, was ihm an Respekt und Hochachtung entgegen gebracht wurde. Was wundert es da, dass ich das Buch von Lifton kurz las, doch dann wieder mit der Bemerkung „das brauche ich nicht mehr“ weiterverkaufte. Was ich da indirekt über meinen Vater las, war ganz einfach unerträglich, nicht denkbar, weil nicht vorstellbar.

Heute weiß ich, dass er Menschenversuche mitorganisiert und wahrscheinlich auch selbst durchgeführt hat. Dass er dabei ganz offensichtlich von seinem Tun ernsthaft überzeugt war, macht es für mich als seinen Sohn unerträglich. Und ich kann meinen Bruder und meine Kinder verstehen, die sich weigern, sich damit zu beschäftigen – wenn das auch in meinen Augen falsch ist. Denn nur die Auseinandersetzung damit kann den Bann des Bösen in der Familie brechen.

Ich denke, es wäre für mich leichter damit umzugehen, wäre mein Vater einer dieser aggressiven und gewalttätigen Nazis. So ist es erst einmal unmöglich oder sehr schwierig zu verstehen, das konnte ich einfach nicht. Ich konnte es sehen, aber nicht verstehen. Jedenfalls sehr schwer. Aber vielleicht ist es genau das, was ich leisten muss, um es für die Zukunft zu beenden.

Dass er wie Brandt von seinem Tun offensichtlich überzeugt war, macht es noch viel schrecklicher. In meiner Vorstellung hat er ja getan, was er getan hat, weil er so gedacht hat. Und von wem habe ich als Kind denken gelernt? Von meinen Eltern. Wobei ich meine Mutter als die Stärkere und Dominantere von beiden ansehe. Also habe ich erst einmal ihre Denkweise übernommen. Ich kann nur von Glück reden, dass ich in einer ganz anderen Zeit lebte und lebe als sie.

Je mehr ich mich damit beschäftigte, umso klarer wurde mir, was von ihrem Denken in mir steckte oder wohl noch steckt. Das will ich nicht einfach loswerden, denn das geht nicht, aber ich kann mich fragen, inwieweit mein Weltbild der Wirklichkeit entspricht. Das ist, jedenfalls ist das meine Überzeugung, die effektivste und effizienteste Weise, mein Denken anders zu organisieren.

Nicht zu vergessen was war ist das eine, das andere ist Wege aus dem Weltbild meiner Eltern zu finden. Das ist, was mich und womit ich mich beschäftige.

Noch etwas: Als mir bewusst wurde, wie mein Vater war, diese zwei Menschen in einem, überkam mich eine tiefe Traurigkeit, denn mir wurde bewusst, auf was ich verzichten musste, weil das Grausame alles überlagerte, das Positive unter sich begrub. Doch in diesem Bewusstsein lag auch ein Stück Hoffnung, denn ich hatte ja auch das Begrabene von ihm geerbt, zumindest ansatzweise.

Und daraus kann ich etwas machen, etwas Positives gestalten, aufbrechen in ein anders Denken.

Eine Lebensaufgabe!

Wenn sich aus meiner Familiengeschichte meine Lebensaufgabe ergibt, was bedeutet das dann? Diese Frage kann ich nur dann beantworten, wenn ich mich selbst wirklich kenne. Als was nehme ich mich also wahr?

Das entscheidet darüber, ob ich es einfach anders machen möchte als mein Vater, anders sein will. Oder ob ich anders bin, weil ich mich anders definiere als er. Unser heutiges Weltbild ist für viele Menschen anders als noch für ihn. Im Weltbild seiner Zeit, das dem Verständnis der klassischen Physik entsprach, erscheint die Welt absolut, dinglich und berechenbar.

In dem Weltbild aber, nach dem ich zu leben suche, also einem Weltbild entsprechend den Erkenntnissen der modernen Physik, erscheint die Welt als beobachterbezogenes Phänomen. Es ist eben keine philosophische Frage, welches Geräusch der stürzende Baum macht, das aber niemand hört, sondern eine existenzielle, eine ontologische Frage!

Wenn ich das erkannt habe, wirklich begriffen habe, haben meine Begegnungen einen vollkommen anderen Bedeutung und auch Stellenwert! Denn wie ich der Welt und allem dem begegne, was oder wer mir begegnet, gestaltet Wirklichkeit unmittelbar!

Was ich sehe, liegt also nicht an dem Gesehenen, sondern erst einmal an mir selbst! Eine Erkenntnis, die die Welt in meiner Wahrnehmung komplett auf den Kopf stellt und mich regelrecht zwingt, die Zusammenhänge vollkommen anders zu sehen als bisher.

Wenn ich darüber nachdenke, verändert das zwar nicht, was war und es nimmt dem Tun meines Vaters nichts von dem Grausamen. Doch es ändert unser heutiges Verhalten – sofern wir uns an die Prinzipien halten, die die Erkenntnisse der Quantenmechanik mit sich bringen.

… und was heute ist.

Und vielleicht nicht nur meine … .

Ich hatte einen Traum (den hatte ich wirklich!), eine Traum über und mit einer Vision. Zwei Tage zuvor hatte ich ein Gespräch über meine Familiengeschichte.

Mein Vater war an den unmenschlichen Gräuel beteiligt, die sich im sogenannten Dritten Reich ereigneten, wo viele Deutsche ihre Menschlichkeit verloren haben. Das sind für mich  keine Geschichten, sondern belegte Fakten.

In meinen Gedanken kam das ganze Thema am nächsten Tag wieder hoch, ein Thema, das ich mehr und mehr aus meinen Gedanken zu verdrängen gesucht hatte, wahrscheinlich weil ich nicht recht wusste, was ich tun könnte  und vielleicht auch sollte.

Denn die bekannte Erinnerungskultur ist – für mich – keine wirkliche Lösung. In der nächsten Nacht wachte ich früh auf, schlief dann jedoch noch einmal tief und lange ein und hatte letztlich einen Traum, eine Vision.

Mein Traum verlief so: Ich, meine ehemaligen Klassenkameraden aus der Abi-Klasse und Menschen, mit denen ich in meinem Leben befreundet war und bin, wir trafen uns und wollten besprechen, wo denn unsere Lebensreise hingehen sollten, vielleicht gemeinsam.

Als die anderen sich so unterhielten und ihr Vorstellungen entwickelten, wohin die Reise gehen könnte, war mir mit einem Mal klar, was ich als Sohn meines Vaters und meiner Eltern zu tun habe. Ohne Konjunktiv.

Schon lange beschäftigte mich die Frage, wovon die Menschen damals irrigerweise ausgegangen sein mußten, denn sie wurden ja nicht als die bösen Menschen geboren, zu denen sie dann wurden.

Für mich war schon lange klar, dass es mit ihrem Denken zusammenhängen musste. Sie dachten ganz einfach nicht der Wirklichkeit entsprechend. Als ich diesen Text von Carlo Rovelli in seinem Buch „Die Wirklichkeit, die nicht so ist wie sie scheint“ las, begriff ich, dass es genau darum ging:

Wir sind besessen von uns selbst. Wir studieren unsere Geschichte, unsere Psychologie, unsere Philosophie, unsere Literatur und unsere Götter. Der Großteil unseres Wissens kreist um uns selbst, als seien wir Menschen das Wichtigste im Universum.

Ich glaube, dass mich die Physik deshalb so fasziniert, weil sie ein Fenster öffnet und in die Ferne hinausblickt. Nach meiner Empfindung lässt sie wieder Frischluft ins Haus einziehen.

Mir geht es letztlich nicht um Physik, sondern um die Frage, was Wirklichkeit überhaupt ist. Denn die Frage ist doch, wie können wir Menschen – und nicht nur die, die schreckliche Dinge getan haben oder tun, wie können (und nicht sollen!!) wir die richtigen Entscheidungen in unserem Leben treffen, wenn wir nicht wissen, dass unsere Sicht von der Welt unzutreffend ist?

Und genau darauf gibt uns die Weltsicht der Quantenmechanik eine Antwort, im Grunde wohl auf alle unseren menschengemachten Schwierigkeiten. Also lud ich in dem Traum meine Freunde und Bekannte ein, sich mit mir auf die Reise zu begeben und zu entdecken, was passiert, wenn wir stimmiger als bisher denken.

Wer von ihnen mitgegangen ist, kann ich nicht sagen, denn da bin ich aufgewacht. Aber es ist egal, ob ein andere mit auf diese Reise geht oder nicht, ich selbst gehe diesen Weg, denn für mich ist klar, je besser ich erkennen kann, was wirklich ist, desto besser für mich wie für andere.

Genau das ist meine Verantwortung, sehe ich mich aus der Perspektive meiner Familiengeschichte.