Nicht das Leben gibt mir Antworten auf meine Fragen,
sondern ich muss auf die Fragen antworten,
die das Leben mir stellt.

Für mich als Nachfahre eines NS-Täters ist es nicht genug, den Holocaust und die Grausamkeiten, die damit einhergingen, zu erinnern. Die Frage, die mir das Leben stellt, ist einfach:

Und du? Bist du anders? Würdest du dich anders als dein Vater verhalten, kommst du in eine ähnliche Situation?

18 Prozent der Deutschen gaben 2018 nach einer Selbsteinschätzung an, dass ihre Familie anderen Menschen während der NS-Zeit geholfen hätte. Das ist das Ergebnis der MEMO Studie II der Universität Bielefeld zur Erinnerungskultur in Deutschland. Die tatsächlichen Fakten weisen eher auf einen Prozentanteil von knapp 0,16 helfender Deutschen hin. Etwa 65,3 Prozent der Deutschen sind zudem der Meinung, dass sie – hätten sie zur NS-Zeit gelebt – Verfolgten geholfen hätten.

Die Ergebnisse der Studie weisen auf ein vollkommen verzerrtes Geschichtsbild vieler Menschen in Deutschland hin. Und woher weiß ich, dass ich mich nicht selbst belüge, gerade auch als Nachfahre eines Täters?

Ich kann mir nie sicher sein, wie ich mich in schwierigen Situationen verhalten werde, aber ich kann mein Verhalten reflektieren, wieder und wieder und auf diese Weise läutern, indem ich in meinem Leben das anwende, was ich als stimmig erkannt habe. Doch dazu muss ich erst einmal wissen, was meinen Vater dazu gebracht hat, grausige Dinge zu organisieren und wohl auch selbst zu tun.

Die Frage ist nicht, ‚warum‘ oder ‚weshalb‘ er das tat, sondern was er konkret getan hat und dann, was er gedacht haben muss, um das tun zu können, was er tat. Was er konkret dachte kann ich natürlich nicht sagen, aber ich kann herausfinden, welche Denkfehler in der Struktur der NS-Zeit immer wieder zu finden sind. Auffallend sind naturalistische Fehlschlüsse, scheinbar unwesentliche unzutreffende Annahmen, die aber in der Summe zu etwas Grausamen geführt haben.

Es ist erschreckend, dass ein gedankliches Vertauschen von Wert und Wirklichkeit solche Folgen haben kann. Umso mehr verstehe ich es als meine Aufgabe, bei mir selbst den Finger in die Wunde zu legen und wirklich korrekt zu denken. Leicht gesagt, doch nicht so einfach zu realisieren. Doch gibt es eine Alternative? Nein, die gibt es nicht.