Es ist Eines, das Grausame zu sehen, das Menschen im Nationalsozialismus anderen Menschen angetan haben. Das Andere ist sich einzugestehen, dass die, die zu Mördern wurden, ganz normale Menschen waren. Eine Feststellung, die Hannah Arendt Ablehnung und Wut entgegengebracht hat. Dabei hat sie doch nur den Finger auf die Wunde in uns selbst gelegt.

Mit „uns“ meine ich in erster Linie die Nachkommen der Täter, aber letztlich alle Menschen. Es geht um die Frage, was den einen zum Täter werden lässt, den anderen nicht. Diese Fragen mögen Psychologen beantworten. Mir geht es um etwas anderes, denn ich bin Nachfahre eines Täters.

Es hat lange gedauert, bis ich bereit war zu erkennen und zu akzeptieren, dass das, was meinen Vater zum Täter und meine Mutter zu seiner Unterstützerin und damit zur Mittäterin werden lies erst, einmal auch in mir ist. Ich habe niemanden umgebracht, aber die Überzeugungen und Ansichten, die sie zu Tätern werden ließen, habe ich auch in mir selbst erkannt. Als ihr Sohn habe ich die Welt mit ihren Augen zu sehen und mit ihren Ansichten und Überzeugungen zu verstehen gelernt.

Als junger Mensch lehnte ich vehement ab, was damals geschah, nicht ahnend, dass auch meine Eltern zu den Tätern gehörten und vor allem nicht ahnend, dass ich ganz ähnliche Denkstrukturen wie sie hatte. Wahrscheinlich war es dieser innere Konflikt, der mich immer wieder aus der Bahn warf, mich gegen alles Konventionelle rebellieren lies.

Das konnte ich – jedenfalls ist das meine Hoffnung – erst ändern, einmal in dem ich durch meine Nachforschungen erfahren hatte, was meine Eltern getan haben und letztlich dadurch, dass ich begriffen und vor allem akzeptiert habe, dass ich die gleichen Überzeugungen und Ansichten wie sie hatte.

Das war der Punkt, den ich erreichen musste, um anders als sie sein zu können. Ob ich wirklich anders bin, das können nur andere beurteilen; ich kann mich nur bemühen, diese Denkbahnen zu verlassen.